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Bauen im Bestand: Die Mär vom hässlichen Entlein

Plattenbauten haben kein gutes Image und sind vor allem beliebt als Rückbauobjekt. Palais Brut zeigt, welche Qualitäten entstehen können, wenn man ihr Potenzial erkennt und dieses sorgsam herausarbeitet. Diese Platte könnte Schule machen. 

von Frederik Fischer im September 2024

Bauen im Bestand: Die Mär vom hässlichen Entlein

Für URLAUBSARCHITEKTUR hat sich Frederik Fischer mit dem Besitzer Patrick Petzold und dem Architekten Hans Sasse unterhalten, die gemeinsam einen WBS 70-Plattenbau am Rande der Märkischen Schweiz in das heutige Palais Brut transformiert haben.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, diesen Plattenbau in das Palais Brut zu verwandeln?

Patrick Petzold: Das hat sich in vielen kleinen Schritten ergeben. Ich kenne die Region, weil ich vor etwa zehn Jahren einen Bungalow in der Nähe gekauft und dort mit meiner Familie viel Zeit verbracht habe – insbesondere während des Lockdowns. In dieser Zeit reifte auch der Plan, einen Plattenbau zu transformieren. Ich entdeckte das Objekt auf ImmoScout, fuhr mit meiner Frau hin und wir waren beide direkt begeistert; von der Lage, vom Grundstück und von der Kubatur des Gebäudes. In der heimlichen Hoffnung, er würde uns diese verrückte Idee ausreden, rief ich Hans Sasse an, einen Architekten, dem ich schon lange vertraue. Die Hoffnung wurde enttäuscht. Auch Hans war begeistert.

Wie ging es dann weiter?

Patrick Petzold: Wir benötigten einen Kredit und machten uns auf die Suche nach einer Bank. Meine Frau und ich waren festangestellt und verdienten gut. Ich war daher zuversichtlich, dass wir bei der Finanzierung keine Probleme bekommen würden.  Das war eine Fehleinschätzung. Die Banken lehnten uns reihenweise ab. Das Problem waren nicht wir. Das Problem war der Gebäudetyp. Die meisten Banken, mit denen wir sprachen, finanzierten einfach keine Plattenbauten.

Ist das eine Vermutung oder haben euch die Banken das explizit so gesagt?

Patrick Petzold: Das haben mehrere Banken ganz offen so gesagt. Eine Bank hätte uns finanziert, aber nur mit 30 Prozent Eigenkapital in einer Zeit, in der höchstens 10 Prozent marktüblich waren. Wir hatten dann das Glück, die lokale Sparkasse überzeugen zu können. Wenn ich gewusst hätte, wie anstrengend allein die Finanzierung werden würde, hätte ich das Projekt wohl nicht begonnen.

Die Finanzierung wird sicher nicht eure letzte Herausforderung gewesen sein.

Patrick Petzold: Das ist richtig, aber der Spaß hat im weiteren Verlauf klar überwogen. Die Planung begann zum Beispiel nicht am Rechner: Ich bastelte ein Modell, Hans kam zum Essen und dann puzzelten wir mit den einzelnen Modulen, bis wir die ideale Raumaufteilung gefunden hatten. An dem Abend entstand ziemlich exakt der Grundriss, den man heute betreten kann.

So einfach war das?

Patrick Petzold: Gut, wir hatten auch immer wieder Glück. Bei der Statik zum Beispiel half uns ein alter Kollege von Hans, der noch in der DDR diese spezielle Konstruktionsweise studiert hatte und noch zahlreiche Unterlagen zu diesem Plattenbautypen hatte. Der wies uns darauf hin, dass wir im Wohnzimmer mit den hohen Decken zusätzliche Stahlträger benötigen. Ohne diese Information hätten wir das Raumprogramm in dieser Form nicht umsetzen können. Hätten wir auf den Deckendurchbruch verzichtet, wäre alles viel einfacher gewesen. Die Zwischenwände kann man nämlich recht beliebig entfernen, ohne die Statik zu gefährden. Ich bin dennoch froh, dass wir uns dazu entschieden haben. Dieses besondere Raumgefühl war alle Mühen wert.

War von Anfang an geplant, aus dem Gebäude zwei Ferienwohnungen zu machen?

Hans Sasse: Nein, es ging zunächst darum, die Qualitäten der Platte und der Lage optimal zur Geltung zu bringen. Es war ursprünglich gar nicht klar, wie das Gebäude vermietet werden sollte. Der Tipp mit der Aufteilung in eine kleine Wohnung und eine Wohnung für eine Familie oder eine kleine Gruppe, kam von Jan Hamer, dem Gründer von Urlaubsarchitektur. Wir haben schon früh den Kontakt gesucht. Jan war von Beginn an sehr offen und hilfsbereit.

Wie seid ihr von der Planung dann in die Umsetzung gekommen?

Patrick Petzold: Hans hat eine Kalkulation erstellt, die im Wesentlichen auch eingehalten wurde. Auf dieser Grundlage erstellten wir die Ausschreibungen. Lediglich der Betonschnitt drohte die Kosten zu sprengen. Wir fanden dann glücklicherweise in Breslau eine Firma, die die Arbeiten zu vertretbaren Kosten ausgeführt hat. Durch den zusätzlichen Stahl, den wir für die Statik verbauen mussten, ist es dennoch teurer geworden als geplant.

Wie fühlt es sich an, einer Firma den Auftrag zu erteilen, das ganze Gebäude zu entkernen?

Patrick Petzold: Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl. Im Kopfkino fiel das Gebäude mehrmals in sich zusammen. Dennoch haben wir der Firma vertraut. Die wirkten kompetent und erfahren und hatten wirklich Lust auf das Projekt. Und mit Hans hatte ich in den letzten zehn Jahren schon häufiger zusammengearbeitet, sodass ein gegenseitiges Vertrauen und Verständnis gegeben war: Neben meiner Tätigkeit als Audioproducer habe ich auch immer wieder als Tischler gearbeitet und in diesem Zusammenhang auch mit Hans.

Habt ihr während des Prozesses besondere Qualitäten erkannt? Gab es positive Überraschungen?

Patrick Petzold: Die Ausblicke begeistern mich bis heute. Wenn man in der großen Wohnung oben auf der Empore steht und aus dem neuen Fenster schräg gegenüber schaut, hat man einen herrlichen Blick über die Felder. Das hatten wir uns nicht so schön vorgestellt. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal im Rohbau mit dieser neuen Öffnung stand: Die Sonne ging unter und erfüllte den ganzen Raum mit goldenem Licht.

Könnt ihr uns etwas zur Geschichte eurer Platte erzählen?

Patrick: Als die Mauer fiel, war die Platte laut Anwohnern noch gar nicht fertiggestellt. Sie ist ein Zeugnis der Wende und stand als fensterloser Rohling verloren in der Landschaft. Geplant war sie als Behausung für Arbeiter der benachbarten LPG. Über die Treuhand gingen die Häuser zunächst an einen Düsseldorfer Investor. Dieser verkaufte sie an zwei Männer aus der Gegend. Die haben die eine Haushälfte vermietet. Im Keller war ein Wellnessbad. In den Zimmern oben gab es auch jeweils ein Bad. Die Platte war als „Salon Cherie“ bekannt und, nun ja, sah schon sehr nach Puff aus.  Die andere Hälfte wurde nur als Lager genutzt. Dort ging gar nichts mehr. Keine Heizung, kein Wasser. Im Keller haben Jugendliche früher wohl viel gefeiert. Ich habe noch unzählige Fotos von den Graffitis auf den Wänden. Auf einem war die Platte angedeutet. Darüber stand: „Meine Heimat“. Das hat mich bewegt.

Hans, wie erklärst du dir, dass es vergleichsweise wenig Umnutzungen von Plattenbauten gibt? Ihr habt schließlich bewiesen, dass in der Platte mit vertretbaren Kosten eine hohe Wohnqualität zu schaffen ist.

Hans Sasse: Das Image ist einfach schlecht und viele Plattenbauten stehen recht verloren in der Landschaft. Das schreckt ab. Es fehlen zudem gute Beispiele. Und dann fühlen sich viele auch von den Dimensionen einer Platte überfordert. Wer ein Haus für seine Familie plant, wird nicht auf die Idee kommen, dafür einen Plattenbau zu nutzen. Für institutionelle Investoren wiederum sind die schlechten Konditionen der Banken für diesen Gebäudetyp ein Dorn im Auge.

Patrick Petzold: Es ist auch ein Ost-West-Thema. Die DDR-Architektur wird immer wieder aggressiv verleumdet. Der Palast der Republik ist hierfür nur eines von vielen Beispielen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass die Gebäude auch ganz objektiv Nachteile hatten. Die Akustik ist einer, aber auch die Zimmer sind überwiegend zu klein für heutige Wohnansprüche. Mit dem Palais Brut können wir aber hoffentlich zeigen, dass die Räume auch eine enorme Großzügigkeit haben können. Die Akustik ist uns bislang auch nicht als problematisch aufgefallen.

Wie seid ihr auf den Namen gekommen?

Patrick Petzold: Wir wollten einfach einen Namen, der gut klingt. Nicht so technisch, nicht nach stumpfen Marketing. Einige Häuser haben so altmodische Namen wie „Elfriede“. In die Richtung zog es uns zu Beginn. Plattenbauten haben in der Regel nur unromantische Typenbezeichnungen wie WBS70. Das wäre ein schöner Kontrast gewesen.
Palais Brut fühlte sich dagegen sofort und bis heute richtig an. Ich bin selber Franzose, in Frankreich geboren und aufgewachsen, und daher hatte das Französische für mich nichts Affektiertes. Zudem ist das Augenzwinkern nicht zu übersehen. Eine Platte ist das Gegenteil eines Palais. Und Brut kommt natürlich von „Brutalismus“.

Wie ist die Resonanz bislang?

Patrick Petzold: Die Vermietung ist sehr gut angelaufen. Die begeisterten Kommentare auf Urlaubsarchitektur motivieren zusätzlich. Einige Gäste sind schon vor ihrer Anreise ganz hingerissen, nur aufgrund der Fotos. Dank Urlaubsarchitektur sprechen wir auch genau die Menschen an, die wir ansprechen wollen. Die Kooperation war ein großes Glück. Nach drei Jahren Bauzeit kamen bei mir schon auch Zweifel auf. Ich war oft allein auf der Baustelle und hab mich gelegentlich gefragt, ob wir uns hier ein Luftschloss bauen. Umso größer ist jetzt die Erleichterung.


Interview: Frederik Fischer

Bildnachweise: © Tobias König und Michael Romstöck / / KKROM Services (Innen- und Außenaufnahmen), © Patrick Petzold (Modell, Graffiti, Vorher-Aufnahmen)

Autoreninfo: Frederik Fischer ist auf einem Dorf mittelgroß geworden, hat seine Kindheit in einer Kleinstadt verbracht und zog dann in die weite Welt. Er studierte Medienwissenschaft und Volkswirtschaft in Hannover, Aarhus, Amsterdam, London und Washington, hat in Berlin mehrere Startups mitgegründet. Inzwischen ist er allerdings der Überzeugung: Die wirklich aufregenden Zukunftsentwürfe entstehen in der Provinz. Diese treibt er u.a. als Geschäftsführer von Neulandia seit Jahren konsequent voran.

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