Baukultur in Nordgriechenland: Eine Reise durch Epochen
Von modernen Konzerthallen über antike Stätten bis zu zeitgenössischen Museen: Eine Tour durch die Architekturwelt Thessalonikis und Verginas im Norden Griechenlands zeigt, wie Alt und Neu harmonisch zusammengehören.
Die ständige Interaktion zwischen Vergangenheit und Gegenwart zeigt sich in Thessaloniki vom eklektizistischen, neuen Rathaus bis zur Konzerthalle Megaro Mousikis eines Pritzker-Preisträgers. Die Bauwerke erzählen nicht nur von Macht und Religion, sondern auch vom kulturellen Reichtum und der Fähigkeit der Stadt, sich neu zu erfinden. Dabei ist die Architektur nicht nur Kulisse, sondern prägt das kollektive Gedächtnis und die Identität der nach der Hauptstadt Athen zweitgrößten Stadt Griechenlands.
Als europäische Kulturhauptstadt erlebte Thessaloniki 1997 einen glanzvollen Höhepunkt. Dieser Titel war eine Würdigung der reichen Geschichte und eine Chance, die die Stadt nutzte, um ihre historische Architektur, ihre Museen und ihr Kulturleben ins Rampenlicht zu rücken. Zahlreiche Renovierungs- und Restaurierungsprojekte wurden initiiert, um das architektonische Erbe entsprechend zu präsentieren. Die Rotunde des Galerius, die byzantinischen Kirchen und das Weiße Turm-Museum erstrahlten in neuem Glanz.
Sowohl zum Kulturhauptstadtjahr als auch nach 2000 wurden neue Projekte vorangetrieben, die auch auf die Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner zielte. „Nea Paralia“ (Neues Ufer) ist eine Parkanlage, die auf 3,5 km Länge das Stadtzentrum mit dem Stadtteil Kalamaria verbindet. Der Gewinnerentwurf von Nikiforidis-Cuomo Architekten wurde von 2006 bis 2014 umgesetzt. Die Promenade zeichnet sich durch ihre modernen architektonischen Elemente, eine großzügige Grünfläche und vielfältige Freizeitangebote aus. Der Gang am „Neuen Ufer“ ähnelt einer Zeitreise: der Weiße Turm wurde vom osmanischen Großarchitekten Sinan im 16. Jahrhundert gebaut, daneben befindet sich das Alexander-der-Große-Denkmal, ein monumentales Reiterstandbild des Bildhauers Evangelos Moustakas (1974).
In der Nähe streben die „Schirme“ von George Zongolopoulos gen Himmel – eine 13 Meter hohe Skulptur aus schräg aufgestellten, vertikalen Stahlstangen und sehr „instagrammable“, ein bei Einheimischen wie Touristen beliebtes Fotomotiv.
Das „Hotel Makedonia Palace“, nur wenige Minuten von den Schirmen entfernt, ist ein Fünfsternehotel und Vorzeigebau der späten Moderne Griechenlands. Konstantinos A. Doxiadis (1913–1975) entwarf einen elfstöckigen, rechteckigen Bau mit Rasterfassaden, der nach einer Komplettsanierung 2017 neu eröffnet wurde. Der Stadtplaner und Architekt gehörte zu den profiliertesten Baumeistern Griechenlands mit über 100 Projekten sowohl in seiner Heimat als auch in Pakistan, Brasilien, Irak, den USA.
Am anderen Ende der Nea Paralia steht die Konzerthalle „Megaro Mousikis“. Der Komplex für darstellende Künste, Tagungen und Kongresse besteht aus den Gebäuden M1 (Entwurf: Vassilis Sgoutas) und M2 (Entwurf: Arata Isozaki). Ersteres hat eine Ziegelsteinfassade und zitiert in seiner Gestaltung die byzantinische Bautradition (Rundbögen, Kuppelbauten). M1 wurde 2000 fertiggestellt, M2 im Jahr 2010. Der Entwurf des japanischen Pritzker-Preisträgers Isozaki (1931–2022) stellt architektonisch und mit seinen klaren, geometrischen Linien einen Kontrast zur Neo-Moderne des M1 dar.
Wie Klarheit, Linien und Byzanz miteinander verwoben werden können, zeigte der von der Insel Samos stammende Architekt Kyriakos Krokos. Er entwarf das Gebäude des Museums für Byzantinische Kultur, das zeitgenössische Formensprache mit byzantinischen Elementen verbindet und 1994 eröffnet wurde. In der Nähe steht das „Archäologische Museum“ von Patroklos Karantinos (1903–1976). Der Architekt der klassischen Moderne entwarf einen Atriumbau. Der Komplex wurde um einen zentralen Hof errichtet. Schmale Rundsäulen tragen das dominierende Flachdach. Das Museum wurde 1962 eröffnet und seitdem mehrfach modernisiert und umgebaut, insbesondere die Innenräume.
Im gleichen Quartier wie die Krokos-Karantinos-Bauten entstand das neue Rathaus von Thessaloniki. Die Planungen dafür begannen in den 1980er-Jahren, 2009 wurde es fertiggestellt. Die Architekten Anastasios und Dimitrios Mpiris entwarfen einen Komplex aus Riegeln, Kanten und Dreiecken, aus Glas, Beton und Wasserflächen, die sie um einen großen Rathausplatz gruppierten. Das Areal ist auch nach den Öffnungszeiten im Erdgeschoss und teilweise auch in den oberen Bereich frei zugänglich. Die scharfkantige Beton-Gestaltung ist eigen, wirkt dennoch offen und zur Stadt mit den benachbarten Museen und der nahen Nea Paralia zugewandt.
Außerhalb Thessalonikis hat besonders ein Kulturbau in Vergina für Furore gesorgt. Die Eröffnung Ende 2022 war ein Staatsakt, an dem Premierminister Kyriakos Mitsotakis und andere hochrangige Amtsträger teilnahmen. Etwa eine Stunde Autofahrt entfernt steht das „Polyzentrische Museum von Aigai“ der griechischen Architektin und Hochschullehrerin Alkmini Paka.
Aigai war die politische Wiege des antiken Reichs der Makedonen, hier regierte die Familie von Philipp II. (382 v. Chr.–336 v. Chr.) und Alexander des Großen über drei Jahrhunderte. Viele Jahrhunderte war die Bedeutung des geschichtsträchtigen Gebietes vergessen. Erst 1977 stieß der Archäologe und Hochschullehrer Manolis Andronikos bei Ausgrabungen auf bedeutende Schätze. Ein Sensationsfund, der die Geschichte Makedoniens neu schrieb. Als UNESCO-Welterbe beherbergt die archäologische Stätte die Überreste der antiken Stadt und des Königspalastes sowie die Gräber mehrerer makedonischer Könige, darunter das Grab von Philipp II.
Das zentrale Museumsgebäude von Aigai wurde als Verbindung dieser Stätten geschaffen. Die aus Thessaloniki stammende Paka entwarf große Fensterfronten und offene Räume, die es den Besuchern ermöglichen, visuell mit der umgebenden Landschaft verbunden zu bleiben. Die Farbgebung der hellen Fassade lässt es trotz der Gebäudegröße mit der sandfarbenen Umgebung verschmelzen. Mehrere Ausstellungsbereiche beleuchten unterschiedliche Aspekte der makedonischen Geschichte und Kultur. Museumsleiterin Angeliki Kottaridi erklärt das Konzept mit einer Art Pforte: Das neue Museum bilde ein umfassendes Portal in die antike Vergangenheit Makedoniens. Dazu gehörten, so Kottaridi, die Geschichten der Verstorbenen, ihre Alltagsgegenstände, Bräuche und Wünsche. Das Polyzentrische Museum von Aigai: Eine Zeitreise mittels Exponaten, Architektur und dieser besonderen Atmosphäre der zentralmakedonischen Tiefebene und den Ausläufern des Vermio-Gebirges.
Text: Jan Dimog
Fotos: Kunstinstallation „Schirme“, Thessaloniki (Titelbild, 4, 5), Rotunde des Galerius, Thessaloniki (1,2), Neues Ufer, Thessaloniki (3), Hotel Makedonia Palace, Thessaloniki (6), Konzerthalle „Megaro Mousikis“, Konzertsaal M1 (7), Konzerthalle „Megaro Mousikis“, Konzertsaal M2 (8), Museum für Byzantinische Kultur, Thessaloniki (9 – 11), Archäologisches Museum, Thessaloniki (12, 13), Neues Rathaus Thessaloniki (14 – 16), Polycentric Museum of Aigai (Aegae), Vergina (17 – 19)
Bildnachweise: © Hendrik Bohle und Jan Dimog / thelink.berlin
Autoreninfo
Der Journalist Jan Dimog betreibt gemeinsam mit dem Architekten Hendrik Bohle ein Digitalmagazin zur Baukultur. Auf thelink.berlin erzählen sie seit Jahren von ihren Entdeckungen in Europa, speziell von den Verbindungen zwischen Mensch und Architektur.
Wenn sie nicht unterwegs sind, kuratieren sie u.a. hochrangige Ausstellungen, etwa die Wanderausstellung zur Architektur von Arne Jacobsen.
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