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Gesellschaft. Macht. Design

Design begegnet uns überall, im Café um die Ecke oder in der eigenen Küche. Form und Farbe der Dinge – mögen sie noch so alltäglich sein – bestimmen unsere Vorstellung von Ästhetik. Design ist jedoch mehr als ein prägendes Stilmittel oder die Idee eines Gestalters. Es ist auch Antwort auf gesellschaftliche Strömungen, die ihrerseits die Entwicklung des Designs beeinflussen.

im September 2024

Gesellschaft. Macht. Design

Mit der Recherche zu individuellem Design verhält es sich wie mit der Namenssuche für den Nachwuchs: Gerade noch ist man der Überzeugung, den einen besonderen Namen gefunden zu haben, den kaum jemand trägt – und dann hört man ihn auf dem Spielplatz in gefühlter Endlosschleife. Ein ähnliches Gefühl beschleicht einen beim Einrichten der eigenen vier Wände: Auf der Suche nach einer originellen Idee verliert man sich heutzutage schnell in diversen Blogs oder klickt sich von einem Instagram-Post zum nächsten. Dort wie in Einrichtungsläden oder auf einschlägigen Messen muss man jedoch immer wieder erkennen: Die gezeigten Neuheiten ähneln und wiederholen sich, die Farben sind allerorts dieselben – kurz: Der Geschmack einer gesamten Szene scheint sich in dieselbe Richtung zu entwickeln. Nicht selten stellt man fest, dass sogar bisher für individuell gehaltene Einrichtungsgegenstände der aktuellen Mode entsprechen. Noch faszinierender ist es, dass sich, je öfter man demselben Stil begegnet, auch die eigene Wahrnehmung zunehmend anpasst und die Suche nach besonderen Einzelstücken häufig dort endet, wo sie angefangen hat: bei den Trendstücken, die allerorts angesagt sind.

Wie kann es sein, dass einem plötzlich Dinge gefallen, die man bisher nicht besonders mochte, und man damit unbewusst einem aktuellen Trend folgt? Häufig handelt es sich dabei um kurzlebige Produkt- oder Modetrends, die – kaum, dass sie entstanden sind – wieder im Nirgendwo verschwinden, um irgendwann wieder in Mode zu kommen und so weiter. Interessant sind aber vor allem die dahinter liegenden Strömungen – die sogenannten Megatrends, die oft auch auf globaler Ebene wirken, Veränderungsbewegungen, die sämtliche Bereiche unseres Lebens betreffen, von der Ökonomie über Mode und Produktdesign bis hin zu Kunst, Literatur und Musik. Sie beschreiben langfristige Phänomene, die Jahrzehnte lang aktuell sein können, die den Zeitgeist prägen und sich damit von kurzlebigen Trends und Moden unterscheiden. Veränderungen der Umwelt, der Ressourcenverfügbarkeit oder auch der individuellen Bedürfnisse haben nicht nur Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander, sondern auch auf das Wohnen, die Gestaltung von Möbeln und Einrichtungstrends – und diese wirken wiederum auf die Entwicklung des Designs. Diese wechselseitige Beeinflussung von Design und Gesellschaft lässt sich in beinahe allen Epochen beobachten. Im Folgenden können nur einige wenige betrachtet werden – ausgehend vom Bauhaus, das in den Jahrzehnten nach seiner Gründung starken Einfluss auf in der Folge entstehende Designstile sowie auch auf gesellschaftliche Entwicklungen hatte und auch weiterhin hat.

Die Bedeutung des Bauhauses geht weit über den einer Bildungsstätte für Kunst-, Design und Architektur sowie die Prägung eines Einrichtungsstils hinaus. Vielmehr war das Bauhaus ein künstlerisches, pädagogisches und soziales Programm und damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Umbruchs. Im Fokus standen die gesellschaftlichen Veränderungen im Zeitalter der Industrialisierung. Das Bauhaus sollte eine Antwort auf die aktuellen Probleme der Gesellschaft geben und gleichzeitig wegweisend für diese sein. Der soziale Aspekt der Produktion und die Entwicklung preisgünstiger, auch für Arbeiter:innen erschwinglicher Möbel, Textilien, Tapeten und Lampen stand insbesondere für Walter Gropius’ Nachfolger Hannes Meyer im Mittelpunkt der Arbeit am Bauhaus. Durch das Bestreben, funktionale und zeitlose „Möbel für alle“ zu schaffen, wurde ein reduziert ästhetischer Stil geprägt, der alle Aspekte des Wohnens berücksichtigte. Auch ein Jahrhundert nach der Gründung des Bauhauses zählen viele Möbel- und Produktentwürfe von damals zu den berühmtesten Designklassikern – man denke nur an den Stahlrohrsessel von Marcel Breuer oder die Tischleuchte von Wilhelm Wagenfeld. Stücke, die ursprünglich mit der Intention hergestellt wurden, Design einer breiten Masse zugänglich zu machen, und die mittlerweile oft nur noch für Liebhaber erschwinglich sind. Auch aus der Architektur sind auf das Bauhaus zurückgehende kubische Formen, Flachdächer oder vorgehängte Glasfassaden nicht mehr wegzudenken. Heute wird der Begriff Bauhaus beinahe inflationär verwendet und vieles als Bauhaus-Stil deklariert, das mit der ursprünglichen Idee nicht mehr viel zu tun hat. Abgesehen davon wirken die Ansätze von damals weiterhin so nachhaltig auf die Entwicklung des Designs, dass man ihnen auf Schritt und Tritt begegnet, meist sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Wie das Bauhaus gilt auch das skandinavische Design als Inbegriff des guten Designs. Schon in den 1930er Jahren haben der Finne Alvar Aalto und die dänischen Architekten Arne Jakobsen und Verner Panton eine eigene Formensprache geschaffen – zwei Jahrzehnte, bevor sich der nordische Stil mit seiner schlichten Formalität und seinem Anspruch auf Funktionalität und dem Fokus auf eine preisgünstige Massenproduktion entwickelte. Auch hier ist der Ursprung des Designs in übergeordneten Megatrends zu finden: in der Entstehung der skandinavischen Form der Sozialdemokratie in den 1950er Jahren, in der Verfügbarkeit kostengünstiger Materialien sowie in den neuartigen Methoden der Massenproduktion. Das skandinavische Design hat noch heute großen Einfluss auf das internationale Industriedesign. Die Pendelleuchte PH von Poul Henningsen hängt gefühlt in jedem Haushalt und in beinahe allen öffentlichen Gebäuden Kopenhagens. Durch klare Linien, helle Farben, natürliche Materialien wie Holz und Leinen sowie eine unaufdringliche, trotz einer gewissen Kühle gemütlich wirkende Ästhetik wird die Idee, formschöne und gleichzeitig funktionale Objekte allen Schichten zugänglich zu machen, erfolgreich umgesetzt. Der breiten Masse wurde der mittlerweile als skandinavisches Wohnen bezeichnete Stil insbesondere durch das schwedische Möbelhaus IKEA zugänglich, das maßgeblich zur Globalisierung des nordischen Einrichtungsstils und des dazugehörigen Lebensgefühls beigetragen hat. Seit ein paar Jahren bestimmt eine weitere skandinavische Marke den Interior-Bereich: Die dänische Firma Hay bietet Design zu moderaten Preisen. Auch IKEA hat schon mit den Dänen zusammengearbeitet – genauso wie mit vielen weiteren namhaften Designern wie Ilse Crawford oder Tom Dixon. Durch diese temporären Kooperationen bleibt Design weiterhin einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich.

Und dann ist da noch die immer wiederkehrende Vintage-Bewegung, die wohl jeden schon einmal eingeholt hat, und wenn es dabei nur die Liebäugelei mit einem pastellfarbenen Kühlschrank ging. Es gibt fast nichts, das es nicht auch in einer Retro-Variante gibt – von der Kunst und der Mode über die Architektur und die Technik bis hin zur Literatur und Musik: überall ist der ästhetische Rückgriff auf vergangene Stile zu beobachten. Dabei ist
die Bezugnahme auf frühere Stile kein neues Phänomen, sondern war bereits im Historismus oder im Eklektizismus ein Prinzip des gestalterischen Ausdrucks. Während das nordische Design den Wunsch nach Einfachheit abbildet, bedienen die Vintage-Bewegung und der damit verbundene Retrotrend die Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Welt noch nicht so multidimensional war wie heute. Dabei ist das Retro-Design nicht als Rückgriff auf Vergangenes, sondern vielmehr als Weiterentwicklung zu deuten: Die Dinge erinnern zwar an frühere Zeiten, drücken aber gleichzeitig den Wunsch nach Beständigkeit und Stabilität aus. Gleichzeitig hat man heute die Freiheit, Nostalgie zu leben, ohne dabei auf die Bequemlichkeiten der Moderne zu verzichten. So bieten manche Warenhäuser die guten Dinge von früher in Neu an und legt dabei großen Wert auf formschönes Design und Nachhaltigkeit seiner Produkte. Und treffen damit den Nerv einer ganzen Generation.

Die Berücksichtigung sozialer Bedürfnisse und der Ansatz, „Möbel für alle“ bauen zu wollen, beschäftigt auch die jungen Designer. In einer Zeit, die eine ganze Generation zur Wegwerfgesellschaft erzogen hat, in der häufig von Must-haves die Rede ist, die sich ständig erneuern, gewinnen Themen wie Nachhaltigkeit und ökologisch verträgliches Gestalten und Herstellen wieder an Bedeutung. Designer verstehen sich wieder mehr als Gestalter der Gegenwart und der Zukunft – und damit der Gesellschaft. Die Rückbesinnung auf natürliche Materialien wie insbesondere Holz ist nicht nur in der Architektur, sondern auch im Interior Design zu beobachten. Soziale Wohnprojekte, Hochhäuser mit Holzfassade, Designermöbel zum Selberbauen – aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie die wachsende soziale Kluft werden in der Gestaltung der Umwelt berücksichtigt, ohne dabei den ästhetischen Anspruch zu vernachlässigen. Immer häufiger gibt es auch heute Ansätze, Design einer größeren Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Ein schönes Beispiel hierfür – und gleichzeitig für die Rückbesinnung auf die formschöne Gestaltung von De Stijl und Bauhaus – bietet der Berliner Architekt Le Van Bo: Eine einfache Anleitung, inspiriert durch Entwürfe von Gerrit Rietveld, Marcel Breuer, Erich Dieckmann und Mies van der Rohe, ermöglicht das Selberbauen eines schlicht gestalteten Sessels mit qualitativ hochwertigen Materialien und damit den Einzug von schöner Gestaltung in den Alltag derjenigen, die sich die Designklassiker nicht ansatzweise leisten können. In dieselbe Richtung geht das innovative Projekt eines Baumarkts, für den der Architekt und Designer Sigurd Larsen einen Lounge-Chair zum Selberbauen entworfen hat. Erschwinglich für wenig Geld wird Design – wieder – zum Volksgut. Dennoch: Designstücke wie die Stühle von Hans J. Wegner oder Arne Jakobsen oder auch Objekte zeitgenössischer Designer wie Jasper Morrison oder Konstantin Grcic werden weiterhin fast aus ausschließlich von einer designaffinen Zielgruppe gekauft, die nicht von der Stange kaufen möchte und bereit ist, für Einzelstücke etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Design bleibt auch heute Ausdruck einer Haltung, die sich im Wechselspiel mit gesellschaftlichen Entwicklungen immer neu entfaltet. Verändert hat sich die Geschwindigkeit, mit der sowohl Megatrends sowie kurzlebige Moden wahrgenommen und auch übernommen werden. Privatpersonen und sogenannte Influencer in sozialen Netzwerken werden zur Inspirationsquelle. Die Individualisierung unserer Gesellschaft und das Streben nach Einzigartigkeit ist eigentlich eine gegenläufige Entwicklung hierzu – und dabei doch zum Trend geworden. Aktuelle Strömungen wie das dänische Hygge oder das schwedische Lagom beschreiben Lebensgefühle, die als Reaktionen auf die Schnelllebigkeit unserer Zeit zu verstehen sind: Angestrebt wird ein nachhaltiges und gleichzeitig genussvolles Leben – ein Trend, der mittlerweile auch im Interior Design angekommen ist. Propagiert wird letztendlich die Abkehr von der blinden Adaption angesagter Stile, jeder sollte seinen eigenen Stil finden und leben können und Trends – ob Pastellfarben, Grid-Design oder Messing-Lampen – sollten maximal eine Basis für den persönlichen Stilmix sein. Individualität und Singularität werden groß geschrieben. Damit ist ein Trend geschaffen, der eigentlich die Abkehr von Trends propagiert und dennoch selbst einer ist. Ein sehr schöner Trend: Denn das wirklich Besondere findet man erst durch die individuelle Zusammenstellung von Objekten und Möbeln, durch das feinsinnige Zusammenspiel von Einzelstücken, durch die Kombination von Alt und Neu, durch den eigenen Sinn für Ästhetik. Erst dann kann guter Stil entstehen. So wie in all den URLAUBSARCHITEKTUR-Häusern, in denen genau diese wunderbare Mischung zu finden ist: einzigartige Kompositionen von anspruchsvoller Architektur und individuell ausgewählten Möbeln und Accessoires, die ein Interieur zu etwas Besonderem machen.


Dieser Beitrag erschien erstmals in unserem Buch URLAUBSARCHITEKTUR 2019.

Autorin: Tina Barankay ist seit vielen Jahren in den Bereichen Design und Architektur tätig – und verbindet dabei ihre Leidenschaft für Gestaltung und Ästhetik mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit und im Projektmanagement. Für Urlaubsarchitektur schreibt sie regelmäßig als freie Autorin.

Fotografien: © Serge Benkemoun (Villa Benkemoun – Titelfoto, 14, 15), © Rita Palanikumar (Vindlyveien – 1), © Ben Buschfeld (Tautes Heim – 2-5), © Ake Eson Lindman (Grams Gård – 6, 7), © Elisabeth Inthavong / Studio Twinky (Maison Jalon – 8, 9), © Carlos Barruz (yök Casa + Cultura, 10,11), © Nicolas Matheus (Villa Extramuros – 12, 13)

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