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Groß(artig)e Architektur auf kleiner Fläche

Groß(artig)e Architektur auf kleiner Fläche

Die diversen Blogs und Magazine sind voll davon: von Berichten über Tiny Houses, Wohnen auf kleiner Fläche und Mikroapartments. Von flexiblen Raumkonzepten ist die Rede, von räumlicher Einheit, optimaler Raumnutzung und geschickten Einbauten. Meist geht es dabei um neu gewonnenen Wohnraum auf wenigen Quadratmetern – aber manchmal wundert man sich, welche Paläste als „Tiny House“ durchgehen.

Die Bandbreite ist enorm: Es gibt sie in allen Varianten und Formen, mit Flachdach oder runden Fensteröffnungen, im Hütten- oder im skandinavischen Stil, aus Holz oder aus Beton, mit Rädern oder ohne, selbstgebaut oder professionell geplant. Tchibo hatte in Kooperation mit einer Schreinerei schon vollausgestattete Minihäuser im Sortiment, manche Hersteller kooperieren mit renommierten Architekturbüros. Anhand der Vielzahl beeindruckender Häuser wird auf jeden Fall deutlich, dass sich anspruchsvolle Architektur auch auf minimaler Fläche umsetzen lässt. Für viele Architekten scheinen die kleinen Behausungen eine Art Spielwiese zu bieten, in deren Rahmen sie sich ausprobieren können. Klingt alles wunderbar: Wenig Flächenverbrauch, alles durchdacht und meist nachhaltig gebaut, außergewöhnliches Design – was will man mehr. Aber kann man in diesen Minihäusern auch wirklich leben, dauerhaft oder zumindest einen Urlaub lang?

Die Tiny House-Bewegung ist ursprünglich in den USA entstanden – als gesellschaftliche Bewegung für das Leben auf kleinstem Wohnraum. Ende der Neunziger Jahre haben die Architektin Sarah Susanka mit ihrem Buch „The Not So Big House“ und kurz darauf der kalifornische Designer Jay Shafer mit seinem mobilen Miniaturhaus ein Statement gegen die überdimensionierten US-amerikanischen Häuser gesetzt – und damit gezeigt, dass man auch auf wenig Wohnraum ein im wahrsten Sinne des Wortes unbeschwertes Leben führen kann. In Deutschland sieht man – ganz unpolitisch – eher Peter Lustig aus der Kindersendung Löwenzahn mit seinem ausgebauten Bauwagen als Vorreiter dieses Trends. Mittlerweile ist die Bewegung eine internationale geworden: In Städten wie Tokio oder auch London, in denen der Grund unglaublich teuer ist, suchen und finden Architekten immer wieder bauliche Lücken, die sie mit Kleinsthäusern füllen können. Ohne eine exakte Größe definiert zu haben, geht man bei Tiny Houses meist von rund 45 Quadratmetern Wohnfläche aus – wobei das schon viel ist, wenn man an das zehn Quadratmeter kleine Haus denkt, mit dem der Architekt Van Bo Le-Mentzel in Berlin Inspiration für ein bewusst reduziertes Leben bietet. Oder wenig, wenn man die in der Architekturszene vorgestellten mehrstöckigen „Tiny Houses“ betrachtet – die, keine Frage, sehr außergewöhnlich und auch platzsparend gedacht, aber eben nicht „tiny“ sind.

Mit dem Begriff Tiny House wird heute aber mehr und mehr auch ein bewusst gewählter Lebensstil (oder auch: eine Lebenseinstellung) verbunden. Im Fokus steht die Besinnung auf das Wesentliche, die zu mehr Selbstzufriedenheit führen soll. Dieser auch als „Postmoderner Minimalismus“ bezeichnete Trend umfasst den bewussten Verzicht auf Konsum ebenso wie einen achtsamen Umgang mit der Umwelt. Beim Ausbau der Häuser wird großer Wert auf die Verwendung hochwertiger und natürlicher Materialien gelegt, das perfekt durchdachte Interieur soll so viel Wohnkomfort wie möglich bieten. Auf kleinem Raum möchten (und können) viele nicht an der Einrichtung sparen, die man schließlich aufgrund der platzsparenden Einbauten nicht ständig auswechseln kann. Das wiederum zieht ein größeres Bewusstsein für den Wert der Dinge nach sich, nach dem Motto: klein, aber fein.

Wie bei jedem Trend gibt es natürlich auch bei dem Thema Tiny Houses kritische Stimmen. Diese reichen von dem Einwand, die heutige Lifestyle-Bewegung ignoriere die sozialen Missstände, aus denen diese ursprünglich entstanden ist, bis hin zu dem Vorwurf, die Minihäuser seien keine Maßnahme zur Bekämpfung dieser Missstände, sondern eher eine Art der Resignation gegenüber diesen. Darüber hinaus ist eine „Reduzierung auf das Wesentliche“ im Sinne einer zufriedeneren Lebenseinstellung natürlich nur dann möglich, wenn man vorher viel besessen hat, also sowieso schon mehr zur Verfügung hatte als das Minimum, das vielen Menschen reichen muss.

Ungeachtet dieser Kritik ist ein „normales“ Alltagsleben in den kleinen Häuschen für eine einzelne Person oder vielleicht auch zwei sicher möglich – außer an Platz fehlt es an nichts. Das belegen schon allein all die Berichte in Lifestyle-Magazinen von Familien, die ein solches Leben für sich gewählt haben – meist mit (noch) kleinen Kindern. Es scheint also zu funktionieren, auch als Familie. Und es gibt natürlich nicht nur die Extreme – vielmehr lässt sich der Trend zum reduzierten Wohnen und nachhaltigen Leben auch in verschiedenen Größenordnungen leben: Er lässt sich auch als Anregung verstehen zu einem nicht ganz so „großen“ Leben, nicht ganz so viel Konsum und mehr Bewusstsein im Umgang mit den Dingen, die einen umgeben.

Der Urlaub bietet eine gute Möglichkeit, sich zumindest temporär zu verkleinern, oder auch andere Wohnformen auszuprobieren. Dazu gehört neben dem Camping (oder: Glamping) auch der Aufenthalt in einem Tiny House. Häufig sind die Häuschen in wunderschöner Natur gelegen – „off-grid“, noch so ein Trend, den viele als Kontrastprogramm zu ihrem wuseligen Alltagsleben suchen. Viele der winzigen Ferienunterkünfte bieten maximalen Komfort und eindrucksvolles Design auf kleinstem Raum.

Auch wenn ein dauerhaftes Leben in sehr kleinem Maßstab nicht jedermanns Sache ist: Ein gelegentliches Überdenken der eigenen Lebensform ist sicher nie verkehrt. Vielleicht lassen sich Teilaspekte des Tiny House-Trends umsetzen – zum Beispiel, indem man sich von Überflüssigem trennt und dadurch eine gewisse Leichtigkeit gewinnt, oder indem man sich bei jeder neuen Anschaffung genau überlegt, ob diese einen langfristigen Wert besitzt. Wenn sich das nachhaltige Wohnen dann noch mit gutem Design und ansprechender Architektur verbindet, ist das, finde ich, umso besser. Üben lässt sich das „kleine Wohnen“ übrigens auch durch den Einsatz flexibler Möbelstücke, etwa weil man vermehrt im Home Office arbeitet und abends den Arbeitsplatz gerne einfach „wegklappen“ würde. Soll ja vorkommen heutzutage.


Text: Tina Barankay, September 2021

Autoreninfo: Tina Barankay verbindet ihre Leidenschaft für Ästhetik und Gestaltung seit vielen Jahren mit ihrer beruflichen Tätigkeit. Als freie Journalistin und Beraterin veröffentlicht sie Beiträge, realisiert Publikationen und entwirft Kommunikationskonzepte in den Bereichen Architektur, Interior und Design.

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