Großes Kino in den Hohen Tauern: das Hotel Hinteregger
Im Herzen der „Hohen Tauern“, Mitteleuropas größtem Nationalpark, thront der Großglockner. Und wenn er auch von mehr als 300 weiteren Bergen über 3000 Metern umgeben sein mag: an Höhe und Majestät überragt er sie alle. 30 Kilometer entfernt nimmt sich der „Hinteregger Kogel“ mit seinen 2600 Metern nach hiesigen Maßstäben fast schon bescheiden aus. Er ist aber nicht nur einer der markanten Gipfel über Matrei in Osttirol, sondern der namensgebende Hausberg des Hotel Hinteregger.
Dort oben hatten die Vorfahren von Gastgeberin Katharina Hradecky bis zum 16. Jahrhundert eine Alm bewirtschaftet. Das heutige Hotel, seinerzeit noch das „Mair’sche Wirtshaus mit Taverne“ erwarb die Urgroßmutter 1903 samt der zugehörigen Landwirtschaft. Damals, knapp 80 Jahre vor der Gründung des Nationalparks, war hier manches noch anders; vieles hat sich aber auch erhalten: das Haus wird – noch immer und mittlerweile in der vierten Generation – von einer Frau geführt. Die eigene Landwirtschaft ist nach wie vor ein elementarer Bestandteil des Hotelkonzeptes und Ausdruck der Überzeugung der Betreiberfamilie. Und die Hochgebirgslandschaften haben – trotz Erschließung und Tourismus – nichts von ihrer Faszination verloren.
„Die Gebirge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler“ – Goethes bekanntes Zitat aus seinem Spätwerk „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ erschließt sich hier besonders nachdrücklich. Selbst manch’ erfahrener Bergkenner erlebt die Alpen in den Hohen Tauern nochmals von einer anderen Seite. Und möchte dem Dichter höchstens nach einigen Tagen noch ein ergänzendes „glücklich!“ hinterherrufen. Was sich mehrfach verändert hat, ist der Hausname. Katharina Hradecky hat sich 2003 nach der Übernahme für „Hotel Hinteregger“ entschieden. Dadurch bleibt die Familiengeschichte genau so in der Jetzt-Zeit präsent wie der Berg selbst, den man vom Hotel aus immer im Blick hat. Verändert hat sich zwischenzeitlich auch die Art der Unterkunft. Wo es zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich ein „schönes Zimmer“ und sieben Strohsäcke gab, erwarten den Gast heute in 39 Zimmern verschiedenartige, hochwertige Unterkunftsmöglichkeiten.
Dass dem so ist, ist nicht nur dem Innovationswillen und der Ausdauer der heutigen Generation zu verdanken, sondern dem glücklichen Zusammentreffen mit den passenden Architekten, welche die Vorstellungen der Betreiber seit nunmehr über einer Dekade in gebaute Realität umsetzen.
Auf der Suche nach „ihrem“ Architekturbüro, half 2006 im dritten Anlauf der Zufall. Das in Innsbruck beheimatete Büro Madritsch + Pfurtscheller hatte im Ort ein Einfamilienhaus realisiert, welches in seiner Typologie den Vorstellungen von Familie Hradecky sehr entgegenkam. Aus dem dritten Anlauf wurde eine Erfolgsgeschichte, die seither von gegenseitigem Respekt, Vertrauen und Verständnis geprägt ist.
„Die Zusammenarbeit mit den Bauherren war von Anfang an durch großes Vertrauen in unser Können geprägt. Dieses Vertrauen hat uns gemeinsam durch den gesamten, wie man weiß nicht immer einfachen Planungs- und Ausführungsprozess getragen. Es hat die Basis geschaffen, den Ideenfluss in Gang gebracht und die Ausführung erleichtert. Dieses Vertrauen hat, mit einem Wort, beflügelt“ – Reinhard Madritsch & Robert Pfurtscheller
Eine etappenweise Rundum-Erneuerung, mit Ausdauer und Kalkül
In bislang zehn Bauphasen wurden bereits weite Teile des Hotels modernisiert, weitere Umbauten sind in Planung. Der Vorteil der langjährigen, erfolgreichen Zusammenarbeit zeigt sich in der einheitlichen Handschrift der Architekten, die sich – bei aller Unterschiedlichkeit in Größe und Komplexität der einzelnen Projektphasen – wie ein roter Faden durch die Gebäudekomplexe zieht. Um allerdings keinen falschen Eindruck zu erwecken: die unterschiedlichen, nebeneinander stehenden Bauphasen – hier vor allem die Übergänge zwischen Altbestand und den diversen Ausprägungen neuer Planungsabschnitte, ist klar wahrnehmbar und hat durchaus seinen eigenen Reiz. Der kundige Beobachter entdeckt Übergangsbereiche zwischen den verschiedenen Realisierungsabschnitten und zum historischen Teil.
„Bauen als fluide Folge von Interventionen“ nennen dies die Architekten. Was schön und kompliziert zugleich klingt, lässt sich vor Ort mit entsprechenden Sachverstand und Vorwissen sehr gut ablesen. Oder man nimmt das „Hinteregger“ als das, was es eben auch ist: ein modernes Hotel mit wunderbar familiärer Atmosphäre und der typisch österreichischen Gastlichkeit – persönlich, herzlich und zuvorkommend. Dabei gediegen, ohne überspannt zu sein. Durchdacht und mit Wohlfühlatmosphäre, aber nicht inhalts- oder theorieüberladen.
Aufbruch in die Moderne
Der erste große Meilenstein der Weiterentwicklung war der Umbau des Kinotraktes, der 2007 realisiert wurde. Das im Haus befindliche Dorfkino und der Theatersaal waren bereits 1962 zu Gästezimmern umgebaut worden und bedurften einer grundlegenden Modernisierung. Wunsch der Betreiber war es ein Wohnambiente zu schaffen, das von Naturmaterialien und Panoramaaussichten dominiert wird. Historische Substanz sollte erhalten und sichtbar bleiben, ein Wellnessbereich war gefordert. Zu diesem Zweck haben Madritsch & Pfurtscheller einen radikalen Umbau ersonnen, der durch Ausführung in Trockenbauweise in vergleichsweise kurzer Zeit verwirklicht werden konnte. Der zweigeschossige Kinosaal wurde als stützenfreier „Rohbau“ verwendet und um ein Stockwerk erweitert; zudem wurden Loggien aus KLH-Elementen vorgelagert, welche die Grundfläche vergrößerten.
Entstanden sind zwei moderne Wohnetagen mit Zimmern unterschiedlicher Größe, teilweise mit freistehender Badewanne. Die Holzkonstruktion wurde durch Lärchenholzriemenparkett ergänzt. Dazu kommen „Fertigteilmöbel“ und Einrichtungsgegenstände in MDF (geölt) sowie große, vollflächige Panoramafenster, wodurch die Räume nun Geborgenheit, aufgeräumte Strukturen und wunderbare Ausblicke in die Bergwelt zugleich bieten. Nur, dass man hier heute statt Filmen eben “Landschaftskino“ sieht.
Das gesamte Volumen wurde mit einer einfachen Lärchenholzhaut umhüllt. In den Räumen der beiden oberen Geschosse wie auch in der ebenerdigen Wellnesszone blieb der ehemalige Kinosaal – nun lehmverputzt und wandbeheizt – sicht- und spürbar. Von dort aus öffnet sich der Spa-Bereich zu einer großen Terrasse und zum Garten hin. Dort wartet seit 2013 ein Schwimmteich auf seine badehungrigen Gäste.
Schlemmen an der Bordsteinkante: das neue Restaurant
Ein weiteres Prunkstück des Hauses ist seit 2011 der neue Speisesaal. Madritsch & Pfurtscheller haben dem ursprünglichen Gebäude eine große, eingeschossige Glasscheibe vorgesetzt und das Gebäude bis an diese Scheibe vorgezogen – man sitzt buchstäblich an der Gehsteigkante. In der Umsetzung ging es im Detail darum, die große Scheibe möglichst „störungsfrei“ wirken zu lassen, sie also am unteren Ende im Kopfsteinpflaster des Gehsteiges verschwinden zu lassen. Im Inneren gibt sich der Speisesaal angenehm ruhig und schnörkellos. Eichenböden und -möbel nehmen sich zurück und geben der Raumwirkung und der neuen Lichttechnik ausreichend Platz zur Entfaltung. Das Raumerlebnis lässt einen immer wieder vergessen, dass man sich nicht in einem Großstadtambiente befindet. Es vereint die Vorteile beider Welten: man fühlt sich angenehm metropolitan und genießt zeitgleich die Vorzüge der ländlichen Idylle mitsamt ihrer hinreißenden Alpenkulisse.
Evolution 2017 – die Eckaufstockung
Im vorerst letzten bedeutenden Schritt wurden im Übergangsbereich zwischen Altbau und dem ehemaligen Kinotrakt fünf Zimmer komplett umgestaltet und durch eine Eckaufstockung erweitert. Die neuen Räume stellen nochmals eine Evolution in der laufenden Modernisierung dar. Hinter einem weißen, gelaserten Blech verbergen sich in die dahinterliegende, große Glasfassade eingebettete, großzügige Räume. Nicht einsehbare, aber mit schönen Ausblicken und wechselnden Lichtstimmungen geöffnete Zimmer, die sich nach außen durch Terrassen und Balkone erweitern und das Gebäude straßenseitig abschließen. Ganzgläserne Nasszellen, freistehende Betten im Panoramabereich und eine hochwertige wie reduzierte Ausstattung in Fichte, Zirbe und Eiche massiv sowie Wolle und Loden bilden heute den Übergang zwischen den Gebäudeteilen.
Direkt auf den Tisch – vom eigenen Feld, Bauerngarten und Stall
Regionale Küche wird hier dem Namen voll gerecht. Das Fleisch stammt vom eigenen, am Ortsrand gelegenen Hof. Dort macht sich das Fachwissen von Ehemann Bernd Hradecky bezahlt, der als praktizierender Veterinär den eigenen, 2013 neu gebauten Stall auf ein Maximum an Tierwohl und Naturnähe optimiert hat. Wo die frischen Kräuter und Gemüse wachsen, die Sie des Abends verzehren, entdecken Sie bei einem Spaziergang durch Matrei vielleicht selbst. Denn der traditionelle Bauerngarten, den Katharinas Mutter noch heute bewirtschaftet, liegt wie eh und je mitten im Ort. Was in der Hotelküche entsteht, entbehrt bewusst jeglicher, unnötiger Extravaganzen. Serviert wird traditionelle Tiroler Küche – frisch und bodenständig. Die morgendlichen Kräutertees stammen von einer hiesigen Sennerin, der Apfelsaft kommt aus eigenen Beständen und ist selbstgepresst, das Brot wird nach einem hauseigenen, althergebrachten Rezept selbst gebacken. Und die Winzer der ausgesuchten, österreichischen Weine, die hier zum Ausschank kommen, kennen die Betreiber selbstverständlich persönlich. So gilt auch in kulinarischer Hinsicht die Maxime des Hauses: „Schönheit ist schlicht. Es ist immer das Einfache, das Natürliche so atemberaubend, dass uns die Worte fehlen.“
Ebenfalls umgebaut wurde mittlerweile die Stube. Sie wirkt seitdem wunderbar aufgeräumt, ohne ihren historischen Charme verloren zu haben. Den Architekten ist auch hier die schmale Gratwanderung gelungen, einerseits unnötige „Schnörkel“ zu entfernen und dennoch Wärme und Unverwechselbarkeit einer traditionellen Stube zu erhalten und sie zugleich in die Neuzeit zu transferieren. Unbedingt sehen sollten Sie auch die neue Kellerbar von 2012, die für Weinverkostungen in einem gemütlichen, zeitgemäßen Ambiente zur Verfügung steht.
Weitere Bauabschnitte sind bereits in Planung. So wird etwa die Eingangshalle und Rezeption baldmöglichst einem „Update“ unterzogen werden. Aber eines nach dem andren! Denn bei aller Konsequenz hat es sich als wichtig herausgestellt, auch die Stammgäste im Prozess der dauerhaften Wandelung mitzunehmen. Durch die allmählich eintretenden Veränderungen gibt es auch von ihrer Seite vielfach positives Feedback: denn der Umbau in Etappen erlaubt es allen Gästen „mitzuwachsen“. Und dabei en détail zu erleben, wie der architektonische Wandel voranschreitet.
Vom 15. September bis 31. Oktober lockt das „Hinteregger“ mit dem Angebot Goldener Herbst im Paradies. Zu allen anderen Jahreszeiten bieten sich zahlreiche Outdoor-Aktivitäten an. Ob Wandern, Ski fahren oder die Entdeckung der „Big Five“ des Nationalparks alias Murmeltier, Steinadler, Gämse, Steinbock und Bartgeier – es wird nicht langweilig. Informationen zu den Highlights des Nationalparks erhalten Sie im Nationalparkhaus, das fußläufig zu erreichen ist. Sollten sie es ruhiger angehen lassen wollen, stehen ihnen das Spa sowie optional diverse Wellnessangebote zur Verfügung.
Falls Sie jetzt das Reisefieber gepackt hat – hier finden Sie Wissenswertes und Aktuelles für Ihre Planungen: Nationalpark Hohe Tauern und Matrei.
von Ulrich Stefan Knoll, August 2018
Fotos
1 / 2 / 3 / 5 / 7 / 89 / 10 / 17: privat
4 / 11 / 12 / 15 / 16 / 18 /21 / 22 / 23 © Wolfgang Retter
6: © Andreas Friedle
8 / 20: © Madritsch & Pfurtscheller
13 / 14 / 19 / 24 / 25 / 26 / 27: © Profer & Partner
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