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NEWood: Mycel-Wunder für die Baubranche

Forscher:innen am Karlsruher Institut für Technologie entwickeln mit NEWood eine neue Klasse biobasierter Materialien. Ziel ist es, eine kreislauffähige Alternative zu herkömmlichen MDF-, OSB- und Spanplatten zu erforschen.

im Dezember 2024

NEWood: Mycel-Wunder für die Baubranche

Für NEWood werden anstelle von frisch geschlagenem Holz Abfälle aus der Landwirtschaft sowie Holzabfälle verwendet. Und statt synthetischer Bindemittel kommt Pilzmyzel zum Einsatz.

Wie das genau funktioniert und welches Potenzial besteht, erklären Dr. Nazanin Saeidi und Dr.-Ing. Rebekka Volk im Gespräch.

Entwickeln Sie das neue Material am KIT eigenständig oder gibt es innerhalb des Projektes bereits Partner aus der Wirtschaft?

Das Material NEWood wurde vollständig am KIT, Institut für Entwerfen und Bautechnologie (IEB), unter der Leitung von Prof. Dirk Hebel, Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltiges Bauen, entwickelt. Wir haben bereits einige Industrieprojekte durchgeführt, bei denen wir gemeinsam mit Partner:innen aus der Wirtschaft Produkte auf Basis unserer Technologie entwickelt haben. Diese Partner stammen aus verschiedenen Branchen, wie der Möbel- und der Bauindustrie.

Wie steht es um die Materialeigenschaften im Vergleich zu MDF-, OSB- und Spanplatten?

Unsere mittel- und hochdichten NEWood-Varianten weisen Materialeigenschaften auf, die mit denen von Holzwerkstoffen wie OSB-, MDF- und Spanplatten vergleichbar sind. Gleichzeitig entwickeln wir leichte Myzel-Materialien, die Eigenschaften aufweisen, die mit denen synthetischer Dämmstoffe wie EPS und Steinwolle vergleichbar sind. Diese Materialien eignen sich ideal für Anwendungen wie Wärme- und Schalldämmung in der Bauindustrie. Insgesamt befinden wir uns weiterhin in der Phase, die Eigenschaften unserer Materialien zu erforschen und gezielt zu optimieren.

Gibt es neben dem Hauptziel, eine Materialalternative zur Dämmung und zum Schallschutz zu entwickeln, weitere potenzielle Einsatzbereiche?

Leichte Myzel-Materialien bieten großes Potenzial, konventionelle Dämmstoffe sowohl für Wärme- als auch Schalldämmung zu ersetzen. Darüber hinaus können Myzel-Materialien generell mit anpassbaren Eigenschaften gefertigt werden, um unterschiedliche Anwendungen in verschiedenen Branchen, zum Beispiel in der Verpackungsindustrie, zu bedienen. Zusätzlich kann beispielsweise durch eine Erhöhung der Materialdichte eine höhere Festigkeit erreicht werden, was den Einsatz in Bereichen wie Bodenbelägen oder Wandsystemen ermöglicht.

Simulieren Sie die Verwendung in der Baupraxis unter Laborbedingungen oder wurde NEWood bereits in Architekturprojekte verbaut?

Wir testen NEWood überwiegend unter Laborbedingungen. Allerdings arbeiten wir bereits mit Unternehmen an potenziellen Pilotprojekten, um das Material in industrienahen, simulierten Umgebungen einzusetzen.

NEWood wurde beim Competitionline Campus Award 2023 ausgezeichnet – hat sich die öffentliche Wahrnehmung des Projektes seither verstärkt?

Dank der Anerkennung, die wir durch zahlreiche Auszeichnungen und Medienberichterstattung erhalten haben, hatten wir die Möglichkeit, zum Bewusstsein für die Bedeutung erneuerbarer Baumaterialien beizutragen, insbesondere mit unserem Fokus auf myzelbasierte Lösungen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass viele andere Forschungsteams und Unternehmen ebenfalls erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung von Myzelmaterialien in verschiedenen Branchen gemacht haben – von der Lebensmittel- und Textilindustrie bis hin zu Verpackung und Bauwesen. Wir sind stolz darauf, Teil dieser wachsenden Bewegung zu sein und gemeinsam mit anderen die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile von Myzel zu erforschen.

Kurzer Blick in die Glaskugel – wann könnte NEWood im großen Maßstab in der Bauindustrie zum Einsatz kommen?

Wir befinden uns bereits auf dem Weg in die Zukunft. Neben unserer kontinuierlichen Forschung und Entwicklung zur weiteren Optimierung der Eigenschaften und der Produktion von NEWood, arbeiten wir gleichzeitig daran, Myzel-Materialien mit Unterstützung der Industrie und durch mehrere Pilotprojekte kommerziell nutzbar zu machen. Wir sind zuversichtlich, dass wir NEWood in den nächsten zwei bis vier Jahren auf dem Markt sehen werden. Natürlich wäre dies ohne die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteur:innen und politischen Entscheidungsträger:innen, die den Wert nachhaltiger und erneuerbarer Materialien erkennen, nicht möglich.

Wovon hängt der Durchbruch zur Marktreife ab – eher vom Preisgefälle zu den herkömmlichen Konkurrenzprodukten, dem Interesse der Wirtschaft oder den noch nicht gelösten Herausforderungen im Forschungsbetrieb?

Es kommt darauf an, den Preisvergleich mit den konkurrierenden Materialien bzw. Produkten zu verringern, das Interesse der Industrie durch Partnerschaften zu sichern und die Produktionsprozesse für die Skalierbarkeit zu verfeinern. Natürlich sind auch die Aufklärung und das Bewusstsein der Kund:innen entscheidend.

Haben wir in Deutschland überhaupt genügend taugliche Abfälle, die als Grundlage für eine serienmäßige Herstellung von NEWood dienen könnten?

Ja, in Deutschland fallen erhebliche Mengen an landwirtschaftlichen und hölzernen Abfällen an, die für eine groß angelegte NEWood-Produktion wiederverwertet werden können.

Gibt es Besonderheiten bei Ihrer Pilzzucht, im Vergleich zur Lebensmittelbranche?

Ja, es gibt bedeutende Unterschiede in unserer Pilzzucht im Vergleich zur Lebensmittelindustrie. Während in der Lebensmittelbranche der Fokus auf Geschmack und Ertrag liegt, verwenden wir spezielle Myzelstämme von essbaren Pilzen, die gezielt auf Bindungseigenschaften und mechanische Leistungsfähigkeit optimiert sind. Unser Prozess ist darauf ausgelegt, das Wachstum des Myzels so zu steuern, dass es als biologisches Bindemittel für unsere Materialien fungiert – ein Ansatz, der in der Lebensmittelindustrie keine Anwendung findet. Darüber hinaus konzentrieren wir uns insbesondere auf holzzersetzende Pilze, also Pilze, die in der Lage sind, Holz und andere faserbasierte Agrarabfälle direkt zu verdauen. Dies ermöglicht es uns, nachhaltige Materialien aus Reststoffen herzustellen

Wie führen Sie im Entwicklungsprozess den Nachweis zur Nachhaltigkeit des Werkstoffes?

Wir messen die Umweltauswirkungen durch ökologische und ökonomische Lebenszyklusanalysen, das CO₂-Einsparpotenzial und die Fähigkeit des Materials, synthetische Materialien und holzbasierte Produkte zu ersetzen.


Dr. Nazanin Saeidi ist Senior Researcher und Head of Research am Lehrstuhl für Nachhaltiges Bauen des Karlsruher Institutes für Technologie (KIT) und Co-Principal Investigator am Future Cities Laboratory des Singapore-ETH Centre.

Dr.-Ing. Rebekka Volk ist Leiterin der KIT-Nachwuchsgruppe Ressourcenmanagement in der bebauten Umwelt am Institut für Industriebetriebslehre und industrielle Produktion (IIP) des Karlsruher Institutes für Technologie (KIT).


Interview: Das Gespräch führte Ulrich Stefan Knoll

Fotos: Demonstration Showcase building on Batam Island in Indonesia © Carlina Teteris (Titelbild), NEWood © Lisa Jungheim / KIT (1), Lightweight mycelium © Lisa Jungheim / KIT (2), Starter culture of mycelium © Tobias Wootton / KIT (3), Different waste resources © Tobias Wootton/ KIT (4), Dr. Nazanin Saeidi © Carlina Teteris (5), Dr.-Ing. Rebekka Volk © Markus Breig / KIT (6)

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